Andreas Lareida verdankte den STAB-Förderpreis mit einer Aufführung seines AGORÀ Ensembles

Für den Förder­preis 2024 wählte der STAB-Preis­träger 2023, Daniel Rohr, Leiter des Theater Rigi­blick, Andreas Lareida aus.

Besondere Premiere des AGORÀ Ensembles am 1. Juni 2024, 19 Uhr im Theater Rigiblick: Kintsugi

2014 erschien Andreas Lareidas erstes Album «Agorà», einge­spielt mit seinem gleich­na­migen Jazz-Ensemble. 2015 gab die Forma­tion ihr letztes Konzert. Danach geschah, was vielen jungen Bands und Projekten wider­fährt: ein stilles Ende.

In der japa­ni­schen Zen-Kunst «Kint­sugi», eine tradi­tio­nelle Repa­ra­tur­me­thode für Keramik, wird ein in die Brüche gegan­gener Krug kunst­voll repa­riert. Mit dieser Idee kamen die Original-Mitglieder des AGORÀ Ensem­bles zum ersten Mal wieder zusammen. Alle haben sie in der Zwischen­zeit ihre Wege als profes­sio­nelle Musi­ke­rinnen und Musiker gemacht. Bei diesem krea­tiven Wieder­sehen erkun­deten sie live das Poten­tial jener Musik, die sie vor über zehn Jahren gemeinsam aufge­nommen hatten. Unter­stützt wurden sie von der Ikebana-Meis­terin Ursula Steiner.

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Senkrechtstart und Euphorie

Das AGORÀ Ensemble erlebte einen fulmi­nanten Start. Andreas Lareida hatte die Forma­tion 2011 zum Abschluss seines Studiums ins Leben gerufen. Er hatte in Bern Jazz­ge­sang studiert und konzen­trierte sich während seines Master of Arts in Music Perfor­mance auf die Bühnen­musik. Das Ensemble reprä­sen­tierte seine zwei Seelen in der Brust: Das Jazz Trio – Klavier, Schlag­zeug und Kontra­bass – traf auf das klas­si­sche Streich­quar­tett – Violine, Viola, Cello mit Kontra­bass als Schar­nier­stück zum Jazz Trio. Zusammen umrahmte die Doppel­for­ma­tion Lareidas Gesang, welcher das Septett vervoll­stän­digte.

Lareida hätte sich einige Jahre zuvor auch gut ein Musik­stu­dium als Geiger am Konser­va­to­rium vorstellen können. Es waren dann aber doch die indi­vi­du­elle Ausdrucks­kraft der Stimme sowie die gestal­te­ri­sche Frei­heit des Jazz, welche ihn nach Bern an die HKB, Abtei­lung Jazz, lockten. Im Oktober 2011 trat Lareidas Ensemble erst­malig im Rahmen seines Master-Abschluss­kon­zerts auf. Ein Moment, der viel Euphorie auslöste. Der Auftritt verdiente sich Best­noten und es war spürbar, dass die junge Gruppe einer Musik auf der Spur war, welche das Publikum zu bewegen vermochte. Verschmitzte Spiel­freude wie auch innige Emotio­na­lität verschmolzen zu einer Melange aus Jazz, Welt­musik und Klang­farben der Strei­cher­klassik. Dieser Energie verliehen die Musi­ke­rinnen und Musiker mit einer Lust an indi­vi­du­eller Virtuo­sität und empfind­samem Inter­play Ausdruck. Es folgten rasch weitere Auftritte, darunter auch auf renom­mierten Jazz­bühnen. 2013 nahm das AGORÀ Ensemble sein Debut-Album auf, welches Anfang 2014 erschien.

Jene viel­ver­spre­chende Dynamik dieser aufstre­benden Gruppe kam im Verlauf des Jahres 2015 ins Stocken, unter­schwellig und schlei­chend, ohne eigent­li­chen Vorsatz. Die Gründe sind viel­schichtig.

Von bleibendem Wert

Und doch gilt auch für die Musik, jener Flüch­tigen der Künste, was der erste Haupt­satz der Ther­mo­dy­namik benennt: die Energie in einem System bleibt konstant, das Poten­tial erhalten. Im Einfluss des Zen-Buddhismus findet die japa­ni­sche Kultur­phi­lo­so­phie Wabi Sabi des sech­zehnten Jahr­hun­derts eine tref­fende Glei­chung dafür. In dieser verbindet sich die Freude an der Herb­heit des Einsam-Stillen «Wabi» mit der Aner­ken­nung des Werts dessen, was alt ist, «Sabi». Das Alte, das Patina zeigt und über Reife verfügt. Von diesem ästhe­ti­schen Prinzip leiten sich viele Künste der Japaner ab. So auch das «Kint­sugi». Der zerbro­chene Krug ist weder zu gebrau­chen, noch wird er je wieder neu sein. Das Poten­tial aber bleibt erhalten. Die Scherben werden mit Urushi-Lack geklebt und feinstes Pulver­gold in die Fugen an den Bruch­stellen gestreut. Der repa­rierte Krug wird in seiner unvoll­kom­menen, gebro­chenen Schön­heit einzig­artig und reiz­voll für den Verste­henden. In einer west­li­chen, jüdisch-christ­li­chen Denk­weise lässt sich in diesem Kulturakt auch etwas Tröst­li­ches erkennen: die mensch­li­chen Scherben der Welt können geheilt und zu einer neuen Zukunft zusam­men­ge­tragen werden.

Andreas Lareida folgt in seiner aktu­ellen Arbeit nun dieser Spur und vereinte für einen exklu­siven Auftritt sein vorma­liges AGORÀ Ensemble. Gemeinsam setzten die sieben Musiker und Musi­ke­rinnen den zerbro­chenen Krug wieder zusammen. Neun Jahre Lebens­er­fah­rung und Musik­schaffen sind das Pulver­gold in den Fugen dieses musi­ka­li­schen Kint­sugi-Expe­ri­ments.

Ikebana mit Ursula Steiner

Als Teil der Auffüh­rung des AGORÀ Ensem­bles zeigte die Ikebana-Lehrerin Ursula Steiner eine Perfor­mance des tradi­tio­nellen Ikebana, die japa­ni­sche Kunst des Blumen­ar­ran­gie­rens. Sie hatte Ikebana an der Ikenobo, der ältesten und tradi­ti­ons­reichsten Ikebana-Schule Japans, studiert. 1994 erhielt sie das Lehr­di­plom. 1996 grün­dete sie das Ikebana-Studio in Spiegel bei Bern, welches vier Jahre später vom Ikenobo-Haupt­sitz in Kyoto offi­ziell als «Ikenobo Study Group Bern» aner­kannt wurde. 2011 wurde sie vom japa­ni­schen Aussen­mi­nister für ihre Verdienste ausge­zeichnet, 2019 erhielt sie den kaiser­li­chen Orden «The Order of the Rising Sun, Silver Rays» als Auszeich­nung für ihre Meis­ter­schaft.

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Ursula Steiner und Andreas Lareida lernten sich nach dessen Zuzug 2021 als Nach­barn kennen. Ihr Inter­esse für Kultur war eines der verbin­denden Elemente ihrer Bekannt­schaft. Nach über vier Jahr­zehnten prak­ti­ziert Steiner eigent­lich kein Ikebana mehr. Ihre Ikenobo-Schule hat sie einer japa­ni­schen Nach­fol­gerin über­geben. Für das gemein­same Projekt machte sie aller­dings eine Ausnahme. Das Kunst­hand­werk des Ikebana wurzelt ebenso im Wabi-Sabi-Prinzip. Die Aussa­ge­kraft der Symbolik ist offen­sicht­lich: Der Samen der Lotos­blume liegt im Schlamm des Teichs begraben. Das Poten­tial ist vorhanden. Bei jedem gesunden Teich oder Moor liegt über der Schlamm­schicht eine Lage sauberes, klares Wasser, ein symbo­li­scher Ereig­nis­ho­ri­zont. Die Lotos­blume strebt hinauf durch diesen Wasser­spiegel, dem Sonnen­licht entgegen. An diesem Punkt liegt die ganze Aufmerk­sam­keit der prak­ti­zie­renden Ikebana-Meis­terin. Ist dieser Punkt kräftig und stabil, baut sich darüber hinaus die einzig­ar­tige Schön­heit des Arran­ge­ments auf. Jede Auffüh­rung ist ein Wagnis. Doch mit klarer Absicht und gekonnt geführtem Schnitt kann sich das Poten­tial mani­fes­tieren.

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Andreas Lareida

Andreas Lareida ist am Hein­zen­berg in Grau­bünden aufge­wachsen, wo er zunächst Geige lernte. In Bern studierte er später Jazz­ge­sang an der Hoch­schule der Künste und schloss mit dem Master of Arts in Perfor­mance ab. Seither lebte und arbei­tete er als frei­schaf­fender Musiker in Bern.

Sein Album-Debut gab er mit dem AGORÀ Ensemble 2014, es folgten als Grün­dungs­mit­glied fünf weitere Veröf­fent­li­chungen mit dem Zürcher Quin­tett Ikarus. Mit seiner Gruppe tourt er jähr­lich inter­na­tional und auf Schweizer Bühnen. Seine Spezia­lität ist seine Vokal­kunst, mit welcher er seine Stimme sowohl vokal-instru­mental als auch in verschie­denen Stilen und Genres einsetzt.

Fünf Jahre leitete er die Konzert­reihe «Kind of Jazz». Seit 2016 tritt er im Zürcher Theater Rigi­blick in mehreren Produk­tionen auf, eine Kolla­bo­ra­tion, die sich über die Jahre stetig vertiefte. Aktuell läuft mit «Tribute to Prince» eine Produk­tion unter seiner musi­ka­li­schen Leitung im Programm. Andreas Lareida performt zudem fast im Wochen­takt mit Bands wie Take This, The Hamil­tons und anderen Forma­tionen in Jazz, Pop und Rock. Er unter­richtet Gesang und Stimm­bil­dung und coacht profes­sio­nelle Sänge­rinnen und Sänger in ihren Projekten. Als Mitglied der freien Tanz­thea­ter­kom­panie Éoli­enne Danse setzte er seit 2016 in fünf Jahren vier abend­fül­lende Produk­tionen um. Die multi­dis­zi­pli­näre Schnitt­stelle zum Tanz und Theater hat sich zu einem wesent­li­chen Bestand­teil seines Schaf­fens entwi­ckelt. In dieser Szene lernte er seine Frau Lisa Lareida (Tänzerin, Choreo­grafin) kennen. Mit ihrem jungen Nach­wuchs leben sie seit 2021 in Spiegel bei Bern. Gemeinsam enga­gieren sie sich im Vorstand und in der Produk­ti­ons­lei­tung für das Kultur­fest Köniz, welches im September 2024 seine Erst­aus­tra­gung erleben wird.